Kürzlich plädierten Sachverständige im Schulausschuss des Sächsischen Landtages dafür, den Stoff, vor allem in den Naturwissenschaften, im Rahmen von neuen Lehrplänen und Unterrichtsmethoden zu reduzieren. Als Cluster IT haben wir uns auf LinkedIn entschieden dagegen ausgesprochen. Prof. Dr. Dirk Schmalzried, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Ernst-Ebbe-Hochschule in Jena stellte seine Argumentation in einem Kommentar gegenüber. Im Interview gehen wir einen Schritt weiter.
Herr Prof. Dr. Schmalzried, in Ihrem Kommentar haben Sie sich aus persönlichen Erfahrungen heraus für eine Reduzierung des naturwissenschaftlichen Lehrstoffes ausgesprochen. Warum?
Das stimmt so nicht ganz. Vorweg: Naturwissenschaften sind wichtig, gerade Informatik gewinnt im Zuge von KI immer mehr an Bedeutung. In meinem Kommentar habe ich bewusst ein bisschen provoziert, um einen Diskurs zu eröffnen. Das scheint mir gelungen. Im Kern geht es für mich darum, an der Tiefe des Lernstoffes zu feilen. Ich erlebe im gemeinsamen Lernen mit meiner Tochter, dass der MINT-Stoff sehr ausufernd behandelt wird und so Raum für andere Themen wegnimmt. Mein Vorschlag: Die Lehrpläne an Tiefe reduzieren und gleichzeitig Vertiefung für interessierte Schüler:innen zur Wahl stellen. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass die uns nachfolgende Generation besser auf das Leben vorbereitet wird. Anstelle des reduzierten Stoffes könnten beispielsweise folgende Themen treten: ‚Wie erstelle ich eine Steuererklärung? Mein erster Mietvertrag., Wie lege ich Geld sinnvoll an? Wie pflanzt man etwas an?‘ Diese Bereiche lassen sich natürlich auch hervorragend mit Naturwissenschaften verknüpfen.
Können Sie sich erinnern, wann und vor allem wie Ihre Leidenschaft für die Naturwissenschaften entzündet wurde?
Den Grundstein legte die Faszination für den Commodore 64. Ich war schon als Kind begeistert von der Idee, etwas mit den eigenen Gedanken zu erschaffen und so schöpferisch zu gestalten. Mein Weg am naturwissenschaftlichen Wilhelm-Ostwald-Gymnasium wurde dann vor allem von ebenso begeisterten Lehrern geprägt. Ich erinnere mich noch gut: Es war die Zeit der Supraleiter. Unser damaliger Physiklehrer gründete dazu mit uns eine Arbeitsgruppe. Nach Wochen des Experimentierens mit alten Kaffeemühlen und Co. mussten die Leitermaterialien am Ende im Ofen gesintert werden. Unser Lehrer schlug dazu nachts ein Feldbett in der Schule auf, um diesen letzten Schritt in Übereinstimmung mit dem Brandschutz zu ermöglichen. Er sagte: ‚Wir werden das Projekt doch jetzt nicht auf der Zielgeraden beenden.‘ Das hat mich tief beeindruckt!
Und während eines Praktikums in den 80er Jahren erzählte ein damaliger Betreuer an der Hochschule davon, dass es irgendwann mobile Endgeräte geben wird, über die man z.B. live die Haltestellen der Straßenbahn einsehen kann. Er lud uns dazu ein, eine solche Anwendung für das Netz in Leipzig zu programmieren. Meine Lehrer lehrten mich: Gebt nicht auf, traut Euch, habt Visionen!
Ihre Begeisterung für die Naturwissenschaften ist deutlich spürbar. Welche Möglichkeiten sehen Sie, Kinder und Jugendliche frühzeitig im Bereich Naturwissenschaften zu fördern?
Besonders wichtig erscheint es mir, Lust und Interesse zu stärken. Es gilt zu differenzieren, zwischen den Schüler:innen, die in Hinblick auf die Naturwissenschaften einfach nur durchkommen und denjenigen, die in diesem Bereich mehr erreichen wollen. Wahlfächer oder Formate wie ‚Jugend forscht‘ können dazu eine gute Basis sein. Aber auch Förderprojekte wie das ‚DiLeLA – Digitale Lernlabore für Anhalt‘ und andere Hochschulkooperationen halte ich für bedeutende Bausteine. Denn die Förderung muss über den schulischen Standardrahmen hinaus gehen.